Craniomandibuläre Dysfunktionen, ihre Ätiopathogenese und Klassifikation sowie die diagnostische Herangehensweise sind die Themen des Vortrags von Professor Johann Müller, München. Craniomandibuläre Dysfunktionen äußern sich in circa 10 % der Fälle in Kardinalsymptomen wie Kiefergelenksschmerzen, Knackgeräuschen des Kiefergelenks bei Bewegungen, Veränderungen der Flexibilität des Unterkiefers sowie Empfindungsstörungen und Missempfindung ("bizarre Symptome"). Der Hauptteil der Patienten mit craniomandibulären Dysfunktionen (circa 80 %) leidet dagegen an kompensierten Funktionsstörungen.
Die Funktionsdiagnostik ergibt dann zwar pathologische Befunde, jedoch zeigt der Patient keine Schmerzsensationen. Bei der Kategorisierung craniomandibulärer Dysfunktionen orientiert sich Professor Johann Müller an der Klassifikation nach Ahlers und Jakstat, welche die Funktionsstörungen nach ihrer Lokalisation innerhalb des stomatognathen Systems in Okklusopathien, Arthropathien sowie Myopathien unterteilt. Bezüglich der Ätiopathogenese cranimandibulärer Dysfunktionen lässt sich der okklusale Primärfaktor vom psychischen und dem arthrogenen Primärfaktor sowie von der psychogenen Dominanz unterscheiden.
Es ist jedoch beachtenswert, dass die Beschwerden von circa 50 % aller Patienten auf eine Malokklusion zurückzuführen sind, so dass vor allem unter Zahnärzten ein gesteigertes Bewusstsein um die Prävalenz craniomandibulärer Dysfunktionen geschaffen werden muss. Eine umfassende Anamnese und klinische Funktionsanalyse sind grundlegende Voraussetzungen für die Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen. Professor Johann Müller geht auf die Diagnose von Funktionsstörungen ein und liefert dabei nützliche Hilfestellungen für die tägliche Praxis.
Bedenkt man, dass die IHS (international headache society) mehr als 250 Formen des Kopfschmerzes unterscheidet, wird schnell klar, dass die Diagnose von Funktionsstörungen immer im Rahmen einer Ausschlussdiagnostik stattfinden muss. Schmerzen können vaskulärer, neurologischer, psychogener und muskuloskelettaler Natur sein. Sind Schmerzsensationen muskuloskelettalen Ursprungs, lassen diese sich durch die Einnahme herkömmlicher Analgetika (Salicylate, Ibuprofen) lindern oder sogar ausschalten. Entsprechend muss der Zahnarzt im Rahmen der klinischen Funktionsanalyse seine Patienten nach der Einnahme von Schmerzmedikamenten und deren Wirkung fragen, um Schmerzursachen gezielt differenzieren zu können.
Liegen muskuloskelettale Schmerzen vor, ist eine craniomandibuläre Dysfunktion durchaus wahrscheinlich, da mehr als 80 % der Primärfaktoren myogener Natur sind. Die klinische Funktionsanalyse kann darüber hinaus Provokations- und Widerstandstests, Okklusionstests sowie bildgebende Verfahren umfassen und sollte in jedem Fall um einen Funktionsstatus (z.B. nach Ahlers und Jakstat) ergänzt werden, der nicht zuletzt den initialen und den zum Abschluss der Behandlung empfundenen Leidensdruck des Patienten dokumentiert und damit eine objektive Evaluierung des Behandlungserfolgs ermöglicht. Die Funktionsanalyse ist die Grundlage einer erfolgreichen Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen.
Nach der Ermittlung der wesentlichen Parameter eines Funktionsstatus (Anamnese, Palpation der Muskulatur und der Kiefergelenke, Mobilitäts- und Belastbarkeitsuntersuchung der Kiefergelenke et cetera), kann der Zahnarzt in aller Regel eine Verdachtsdiagnose in Richtung einer Myo- oder Arthropathie stellen. Gleichzeitig kann auch die Entscheidung getroffen werden, ob eine interdisziplinäre Hilfe durch Orthopäden, HNO-Ärzte, Dermatologen oder Internisten erforderlich ist, um die Ursachen der Schmerzsensationen zu eliminieren. Sind myogene Ursachen wahrscheinlich, gründen diese in manchen Fällen in zentralnervösen Störungen. Allerdings überwiegt der okklusale Primärfaktor, so dass eine Okklusionsanalyse mit Hilfe zentrisch und achsengerecht artikulierter Modelle unumgänglich ist. Die zentrische Position des zuvor genommenen Registrats ist dabei so wichtig, da die zentrische Kondylenlage Referenzposition der Myopathien darstellt und dabei die Weichgewebe ein Maximum an Entlastung erfahren.
Zielsetzung einer Okklusionsanalyse ist die Entscheidungsfindung zugunsten von Einschleifmaßnahmen, Kieferorthopädie, orthognather Chirurgie oder einer Schienen- beziehungsweise Trägerherstellung (therapeutisches und/oder diagnostisches Mittel).